Du warst schon immer anders als ich. Umso älter du wirst umso klarer werden die Unterschiede zwischen uns beiden. Ich suche nach den Gemeinsamkeiten, die unsere Beziehung zusammen halten und fürchte mich vor den Unterschieden, die sie herausfordern.
Manchmal schauen dein Papa und ich uns ratlos an, weil wir nicht wissen, wie wir dir helfen können.
Ich sehe wie wütend du auf mich bist, wie sehr es dich ärgert, dass ich dich nicht verstehe. Du machst mir Angst, denn egal wie sehr ich für dich da sein möchte, wir merken beide, dass wir nicht immer einer Meinung sind und dass wir die Gefühle des Anderen nicht immer nachvollziehen können. Während dein einer Bruder noch alles gut findet, was ich sage und der andere quasi auf mir lebt, gehst du immer mehr deinen eigenen Weg.
Ich möchte dich verstehen und deine Gefühle nachvollziehen können, damit ich dich besser begleiten und für dich da sein kann. Ich will nicht, dass du dich von mir allein gelassen fühlst. Vielleicht will ich dich auch vor dem Gefühl schützen, dass du dich allein in dieser Welt fühlst.
Im Internet nennen die Menschen ihre Kinder Mini-Me. Das könnte von unserer Realität nicht weiter entfernt sein. Du bist so anders als ich, dass es mir nie in den Sinn kommen würde dich Mini-Me zu nennen.
Und dann gibt es wieder diese kleinen Überschneidungen. Einzelne Situationen, in denen du so handelst, wie ich es als Kind getan habe oder heute noch tue. Situationen, in denen ich mich dir so nahe fühle und dich wirklich verstehen kann. Oft sind das Situationen, in denen dein Papa uns beide nicht versteht, weil wir so anders sind als er.
Deine Augen erinnern mich an die Augen deines Papas.
Als ich mit dir schwanger war, habe ich mir gewünscht du würdest so aussehen wie er, besonders die Augen waren mir wichtig. Immer wieder habe ich es laut ausgesprochen.
“Bitte bekomme die Augen deines Papas.”
Heute schaust du mich mit den selben Augen an.
Ihr nehmt die Welt um euch herum auf eine ähnliche Art wahr. Ihr teilt euch eine Gabe und unterscheidet euch in hundert anderen.
Denn du bist auch anders als er.
Ich guck dich an und kann nicht glauben, dass du mein Kind bist. Ich bin so fruchtbar stolz darauf, wie sehr deine eigene Persönlichkeit von Tag zu Tag mehr ans Licht kommt und manchmal, ganz selten, macht es mir Angst, wie anders du bist.
Dabei sollte ich doch unsere Unterschiede feiern anstatt sie zu fürchten.
Die Unterschiede feiern ist das Schwerste, insbesondere bei den Kindern. Ich habe das Gefühl, dass die Unterschiede uns viel sagen wollen und uns sehr viel lernen lassen. Mit den Kindern haben wir die Chance, die Unterschiede feiern zu lernen, weil wir sie so sehr lieben. Wir haben die Chance zu lernen, dass Liebe, Toleranz, Akzeptanz, Loslassen das Wichtige ist. Der Unterschied rückt in den Hintergrund...