Im Sommer ist meine FOMO ganz besonders schlimm.
Eine Reihe über unangenehme Gefühle "Fear of missing out" Teil 7/7
Meine Hände sind oft kalt, ich bin meistens ein bisschen zu dick angezogen und im Rucksack habe ich immer noch einen Pullover eingepackt, nur für den Fall, dass ich friere. Ich friere fast immer, außer im Sommer.
Ich werde es nie verstehen, dass es Menschen gibt, die auf die ersten Sonnenstrahlen im Jahr warten, nur um endlich ihren heißgeliebten Eiskaffee trinken zu können. Doch auf die ersten Sonnenstrahlen warte ich auch. Das haben wir gemeinsam.
Vielleicht habe ich eine niedrigere Körpertemperatur, die ich mit warmen Getränken und Temperaturen auszugleichen versuche. Ab 25 Grad aufwärts beginne ich mich wohl zu fühlen. Ein Heißgetränk in meiner Hand macht den Sommer perfekt.
Auch die Menschen, mit einer anderen Körpertemperatur als meiner, werden vom Sommer zum Schwitzen nach draußen getrieben. Ich sehe sie in den Cafés sitzen, in ihren Gärten ackern, im Park essen, auf den Wasserspielplätzen und an den Seen, mit einem hohen Glas, einem bunten Thermobecher oder mit einem To-go-Becher in der Hand. Sie stochern mit einem Strohhalm in ihrem Kaffee, um die Eiswürfel mit ihm zu vermengen, was natürlich nicht klappt, da diese immer wieder nach oben treiben.
Der Sommer hält uns beschäftigt, ob mit Eiskaffee oder ohne.
Ich zähle die Tage rückwärts und versuche mich daran zu erinnern, wann der letzte Tag war, an dem wir nicht erst spät nach Hause gekommen sind, an dem wir nicht Geburtstage oder Sommerfeste gefeiert haben, an dem wir nicht am See oder mit Freund:innen Eis essen gegangen sind.
Wann war der eine Tag, an dem wir nichts vor hatten?
Wann war ein Tag, an dem wir uns langweilten, an dem die Zeit langsamer verstrich, an dem wir nicht völlig erschöpft ins Bett gefallen sind? Wann war einer dieser ganz normalen Tage, von denen es so unendlich viele im Winter gibt aber kaum welche davon im Sommer.
Wir hatten diesen Tag vor ein paar Wochen.
Es war ein Samstag.
Ich erinnere mich deswegen so genau daran, weil es mir schwer fiel, nichts zu tun, keine Verabredung zu haben und später von keinem aufregenden Samstag erzählen zu können.
Mein Freund war arbeiten und ich war erledigt, von den Aktionen und Terminen der letzten Woche und den Aktionen und Terminen der bevorstehenden Woche. Also parkte ich die Kinder im Hof und wir haben den Tag dort mit Wasser und Nichtstun verbracht, nur wir vier. Bei den Kindern wechselte sich die Langeweile mit dem Spielen ab. Ich las ein Buch und schaute mir ab und zu die gebauten Sandburgen an.
Dabei hörten wir unsere Nachbarn im Treppenhaus, die an den See, in den Garten mit Pool oder zu Freund:innen fuhren. Es war mir so unangenehm den Kindern an einem Samstag das Nichtstun aufzubürden, während alle um uns herum ihren natürlichen Sommeraktivitäten nachzugehen schienen. Ich musste mich beherrschen, um Instagram nicht zu öffnen. Denn hinter dieser App verbargen sich tausend wenn nicht sogar Millionen mehr Menschen, die diesen Samstag mit Ausflügen, aufregenden Attraktionen und an verschiedenen Badestellen verbrachten.
Es störte mich weniger, dass andere Menschen ihren Sommeraktivtäten nachgingen während wir eine Pause machten oder sogar brauchten. Es störte mich viel mehr, dass ich nicht genießen konnte, dass ich genau das hatte, was ich gerade brauchte. Dieser Tag des Nichtstun war so unfassbar schön, doch meine eigene FOMO machte mir schwer zu schaffen.
Der Sommer lässt uns erschöpft und glücklich ins Bett fallen, dass wir gar nicht merken, wie die Überforderung und Reizüberflutung von uns Besitz ergreift. Er lockt uns mit Eis, Wasser, Freund:innen, Biergärten und laute Open Air Musik, dass es uns schwer fällt, nein zu ihm zu sagen. Er zieht uns an, mit seinem Erdbeerduft und den großen Wassermelonen, die wir begeistert miteinander teilen. Und erst wenn wir völlig erschöpft am Morgen nicht mehr aus dem Bett kommen, merken wir, dass der Sommer uns auch überfordern kann.
Und da hängen wir jetzt, irgendwo zwischen Sommerfreude und Sommerüberforderung und versuchen dem einem mehr Gewicht zu geben als dem anderen. Obwohl wir wissen, dass genau das der Grund dafür ist, warum wir irgendwann überfordert sind.
Der Sommer ist meine Jahreszeit, die einzige Zeit in der ich weniger friere.
Also genieße ich den Sommer so sehr, bis ich nicht mehr kann, bis ich nicht nur eine Pause brauche, sondern bis ich vor Glück und Erschöpfung keinen Fuß mehr vor den anderen setzen kann und ich morgen nicht mehr aus dem Bett komme, weil der schöne Abend nicht enden wollte.
Die Tage mit Wasser und Sonnenschein sind gezählt und ich habe Angst, auch nur einen Tag davon zu verpassen.
Danke, dass du dir für meine Worte Zeit genommen hast. Wenn du aus meinen Worten etwas für dich mitnehmen konntest, kannst du mir gerne ein Like da lassen, diesen Newsletter abonnieren oder es mir in den Kommentaren sagen. Denn dein zustimmendes Nicken oder das Kribbeln im Bauch, dass dir sagt, dass jetzt eine Veränderung ansteht, kann ich leider, über den Bildschirm, nicht sehen. :)
Carolin.
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