REDE ICH ZU WENIG MIT MEINEM PARTNER?
Kommunikation in Beziehungen
“Was macht eine gute Liebesbeziehung aus?”
“Wir können immer über alles reden.”
Mit wird schlecht bei dieser Antwort. Nicht weil sie nicht wahr ist, sondern weil alle diese Antwort geben. Es gibt so viele verschiedene Menschen und Beziehungen und trotzdem soll das für alle stimmen? Es ist die erste Antwort, die in Sekundenschnelle gegeben wird. Niemand denkt darüber nach. Es ist wie ein Mantra, dass wir uns erzählen, weil wir es irgendwo auswendig gelernt haben. Heute erzähle ich meine Geschichte und darüber wie ich Kommunikation in meiner Beziehung lebe. Vielleicht nimmst du etwas für dich mit und was dir nicht passt, streichst du einfach durch.
Erwartungen
Ich sitze im Wohnzimmer auf der Couch, das kranke Kind liegt in meinem Arm und schläft. Mein Freund sitzt in der anderen Seite des Raumes an unserem Esstisch auf einem Stuhl. Wir nutzen die ruhigen Minuten und besprechen im Flüsterton die aktuellen Alltagsthemen. Früher fand ich so etwas spießig, übertrieben und unflexibel. Heute gestehe ich mir langsam ein, dass das Planen nicht nur Nachteile sondern auch sehr viele Vorteile mit sich bringt. Ein Vorteil ist es, dass ich seitdem ruhiger schlafe.
Während ich in Gedanken immer noch abwäge, wie ich das Planen im Erwachsenen Alter wirklich finde, unterbricht mein Freund meinen Gedankengang mit einer Frage.
"Gibt es Dinge, die du mir nicht erzählst?", fragt er mich.
Ich runzle die Stirn. Das war keins dieser Alltagsthemen. Ich verstehe darunter Themen, die auf ein Häkchen warten, damit ich nachts wieder schlafen kann. Zum Beispielsweise reden wir über Arbeitszeiten (wer, wann, wo, wie lange), Haushalt, Kinderbetreuung, Events, Geschenke, Essen und Termine.
"Dinge, die ich dir nicht erzähle?", flüstere ich, damit ich das schlafende Kind im Arm nicht weckte. Ich spreche die Frage so langsam aus, um mir mehr Zeit zum Nachdenken einzuräumen. Ich weiß genau, wie diese Frage gemeint ist, es geht nicht um Geheimnisse, es geht um Themen, die mich beschäftigen, für die er sich nicht interessiert.
Ich tue so, als müsste ich über diese Frage nachdenken. In Wirklichkeit weiß ich die Antwort, ich weiß nur nicht genau, wie ich es sagen kann, ohne ihn oder unsere Beziehung zu verletzen.
Ich erinnere mich an ein Gespräch, dass wir vor zwei Jahren zu diesem Thema geführt haben. Mein Magen dreht sich um und mir wird schlecht, wenn ich an mein Verhalten und meine Meinung von damals denke. Es war ein hitziges Gespräch, dass in einen riesigen Streit ausuferte. Natürlich habe ich ihm vorgeworfen, dass er sich für meine Themen, die mir sehr wichtig sind nicht interessiert. Natürlich habe ich das gleichgesetzt damit, dass er sich für mich nicht interessiert. Natürlich habe ich ihm vorgeworfen, dass er in einer Zeit, die geprägt war von Ängsten und Sorgen, keine Lust hatte täglich in diesem Strudel mit mir gemeinsam abzutauchen. Natürlich habe ich von meinem Partner erwartet, dass er derjenige ist, der mich rettet und liebevoll für mich da ist, selbst dann wenn ich das schon längst nicht mehr für mich selbst tun konnte.
Heute sehe ich diese Denkweise sehr kritisch.
Es gibt vieles, dass ich nicht mit ihm besprechen möchte. Es gibt Themen, die ich lieber mit mir selbst ausmache, die ich in mein Journal schreibe, mit Coaches bespreche, mit meiner Mama oder mit Freundinnen durchkaue. Menschen zum reden brauche ich immer aber nicht immer ihn.
Was sagt das über unsere Beziehung aus?
Ich bin mir unsicher, was ich antworten soll, bleibe dann aber doch bei der Wahrheit. "Ja, gibt es", antworte ich.
Ich fühle mich, als müsste ich mich erklären. "Es gibt Themen, die interessieren dich nicht und es wäre unfair, dir alle meine Themen aufzubürden, nur weil wir in einer Liebesbeziehung zueinander stehen", sage ich. Ich hole weiter aus und rede mich in Rage. "Ich finde es unfair eine Person so unter Druck zu setzen, dass sie sich immer für meine Themen interessieren muss, dass ich keine anderen Menschen haben darf, mit denen ich lieber über manche Themen spreche, nur weil ich mit ihnen keine Beziehung führe. Ich finde es nicht fair dir gegenüber dir Themen aufzuzwingen, die dich nicht interessieren. Für mich ist es wichtig über alles reden zu können aber ich habe genug Menschen in meinem Leben, mit denen ich reden kann."
Ich hatte gerade erst begonnen meiner Wut und meiner neugewonnen Meinung Raum zu geben, da sehe ich schon, dass er genau verstanden hat, was ich meine.
Das Gespräch ist so schnell beendet, wie die Frage aufgetaucht war. Ich glaube nicht, dass er eine Begründung hören wollte. Es war reines Interesse, ob mir etwas fehlt in unserer Beziehung.
Ist das so einfach? Ist das die Kommunikation, die uns weiterbringt? Bringt uns Kommunikation weiter, die auf einem ehrlichen Interesse beruht, eine Kommunikation, mutig genug, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es unangenehm ist oder unkonventionell ist, eine Kommunikation, die Raum für unterschiedliche Meinungen lässt?
Kommunikation ist unser Thema. Oder besser gesagt, das Thema, dass uns trennt. Während er wenig redet, kann ich mich über alles stundenlang unterhalten, ich nehme alles ins kleinste Detail auseinander, analysiere und drehe und wende Fakten, bis sie endlich zusammen passen. Ich werde nie müde, Geschichten, Erlebnisse, Ideen und Sorgen immer und immer wieder zu erzählen. Ihn ermüdet das sehr.
Mittlerweile sind wir 7 Jahre zusammen, haben zwei Kinder und ich beginne langsam zu verstehen, welche Art Beziehung wir führen. Welche Bedürfnisse ich habe, (viel zu reden) die er mir nicht erfüllen kann und muss. Meinem Freund ist diese Thematik nicht neu. Er hat mir bereits vor 8 Jahren gesagt, dass der Augenblick kommen wird, indem ich hinterfragen werde, ob mir seine Kommunikation reicht. Damals habe ich lachend abgewunken. Nicht wissend, wie groß mein Bedürfnis ist, mich sprachlich auszudrücken und auszutauschen.
Die Gesellschaft hat mir aufgedrückt, dass es den einen Menschen gibt, der all meine Probleme anhören und lösen muss, dass es den einen Menschen gibt, der mich immer versteht, dass es den einen Menschen gibt, der immer die richtigen Fragen stellt und immer daran interessiert ist, wie ich mich fühle und was ich denke, auch wenn das tagelang nichts Gutes ist.
Ich orientiere mich an anderen Beziehungen, schaue Filme, lese Bücher, die mir zeigen, wie die Gesellschaft eine gute Beziehung definiert. Diese Definition romantisiert eine zweier Beziehung. Sie lehrt uns, dass es einen Menschen gibt, der alles für uns ist. Es gibt den einen Menschen für jeden. Da ich viel rede, viel fühle und viel analysiere, kann das für einen Menschen schnell zu viel werden, das weiß ich.
Wir sind glücklich, weil wir nicht über alles reden müssen aber jederzeit können.
Wir sind glücklich, weil ich gelernt habe, mir dieses Bedürfnis selbst zu stillen. Ich schreibe viel, um meine Gedanken und Gefühle loszuwerden, treffe mich mit Freundinnen, telefoniere mit meiner Mama und suche mir Unterstützung bei Coaches.
Sind wir schlechte Menschen, weil uns Themen unserer Partner nicht interessieren? Oder sind wir einfach nur normal? Und über uns hängt ein gesellschaftlicher Anspruch an eine Beziehung, die niemand erfüllen kann ohne dabei das eigene Glück zu opfern?
Sätze wie "ich kann mit ihr/ihm über alles reden" haben lange meine eigenen Definition von einer guten Beziehung beeinflusst.
Meiner Meinung nach stellen wir utopische Ansprüche an eine Liebesbeziehung, die weder unsere/n Partner/in noch uns selbst glücklich machen.
Habe ich keine gute Beziehung, wenn ich mit meinem Partner nicht über alles rede, wenn ich das nicht kann und schlimmer noch, wenn ich das gar nicht will?
Ich bin mit Eltern aufgewachsenen deren Beziehung aus Kommunikation bestand. Es war das tragende Gerüst, das am Ende dann doch eingestürzt ist. Oft habe ich meine jetzige Beziehung hinterfragt, weil sie so anders ist, als das was mir in meinem Elternhaus vorgelebt wurde. Wir kommen mit sehr wenig Worten aus. Aber vielleicht sind es die richtigen und wichtigen Worte, die wir miteinander austauschen, die uns Halt geben?
Im Juni 2020 besuchte ich eine eine Astrologin. Ich war hochschwanger und wusste, dass sich mein beruflicher Weg nach der Schwangerschaft ändern würde. Also suchte ich mir Support bei einer Astrologin, die die Fähigkeit hatte mich liebevoll auf diesem Weg zu begleiten. An irgendeinem Punkt, egal ob in der Astrologie, Therapie oder im Coaching ist, werden die eigenen Eltern zum Ursprungsthema von allem, die eigene Kindheit wird ausgerollt, wie ein roter Teppich, der uns bis heute zum Stolpern bringt. So war es auch in meiner Session mit der Astrologin. Wir landeten in meiner Kindheit und dann bei meinen Eltern. Nebenbei sagte sie einen Satz, den ich nie vergessen werde. Sie sagte zu mir: "Du kommst aus einer Familie, die viel redet aber nie über die wirklich wichtigen Dingen spricht. Eine Familie, die nie darüber redet, was wirklich los ist."
Mein Kopf versucht diesen Satz bist heute zu verstehen, während mein Herz schon längst weiß, dass sie damit genau richtig lag.
Mein Freund schaut zu mir rüber und lächelt mich an. Ich kuschele mit dem fiebernden Kind auf meinem Arm, lächle zurück und schweige.
Es gibt Momente im Leben, die würde ich gerne festhalten können und für immer in meinem Kopf abspeichern. Das sind die Momente, die so klein und unwichtig erscheinen, dass ich Angst davor habe, sie eines Tages zu vergessen.
Am schnellsten vergesse ich wichtige Momente, wie diesen, in denen wir einfach nur glücklich sind, ganz ohne Worte. Als würden die leisen und ruhigen Momente von den lauten und erlebnisreichen Momenten in meinem Kopf verdrängt werden.
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Wieder ein Thema sehr schön beleuchtet. So habe ich es noch nie gesehen, dass unser Redebedarf andere vielleicht überfordert. Und ja, im Endeffekt sind es die kleinen Momente 😊