Mood Letter No. 7
“Ich kann das allein”, sagt mein jüngster Sohn zu mir und schaut mich verärgert an, während er versucht seinen linken Schuh dem rechten Fuß überzuziehen. Dieser Satz treibt mich in den Wahnsinn. Minutenlang versucht er es immer wieder, schreit dabei und lässt mich nicht helfen. Mir bleibt nichts anderes übrig als seinen Ärger zu beobachten. Er zerrt an seinem Schuh, der sich keinen Millimeter bewegt. Sackgasse. Er bekommt den Schuh weder an noch aus. Innerlich koche ich vor Wut, weil ich ihm so leicht helfen könnte und genau weiß, dass er es dieses Mal nicht allein schaffen wird.
Ich kenne das Gefühl, Hilfe zu brauchen aber nicht zu wollen, sehr gut. Während ich meinem kleinen Sohn bei seinem Schuhdilemma zuschaue, kommt eine Hilflosigkeit und Wut in mir hoch, die mich fast umhaut.
Gestern stand ich im Bad vor dem Spiegel, betrachtete meine Haare und wusste es ist Zeit für einen Friseurbesuch. Wenn ich an einen Friseurbesuch denke, bekomme ich schlechte Laune. Worüber soll ich reden? Mein Magen zieht sich zusammen, wenn ich an die unangenehme Stille denke, die jedesmal an irgendeinem Punkt aufkommt. Ich hab keine Lust über meine Haarstruktur zu sprechen oder darüber was ich eigentlich beruflich mache, wieviele Kinder ich habe oder wie ich meine Haare wasche. Am Ende gehe ich unzufrieden nach Hause, weil mir die Frisur nicht gefällt und ich mich nie trauen würde das laut auszusprechen. Ich lasse zu viel Trinkgeld da, um nicht zu denjenigen zu gehören, die zu wenig Trinkgeld gaben und zu Hause schau ich mir an, wie ich die Frisur retten und so anpassen kann, dass sie zu mir passt.
Immer noch vor dem Spiegel stehend betrachtete ich meine lange Mähne, als ich den Entschluss fasste, mir die Haare selbst zu schneiden. Ich holte die Schere heraus und schnitt ohne Youtube Anleitung großzügig die Spitzen ab.
Die Kinder waren aus dem Haus und hatten ein Chaos in der Küche zurück gelassen. Ich stemmte meine Hände in die Hüfte und streckte meinen Schwangerschaftsbauch heraus während ich mich in der Küche umsah. In meinem Kopf räumte ich die Küche nicht gedanklich auf sondern schob die Möbel hin und her.
Es war Zeit umzustellen.
Die Lust darauf Möbel zu verrücken ist bei mir keine Schwangerschaftsbegleiterscheinung sondern ein tiefes und ernstzunehmendes Bedürfnis, dass ungefähr alle 3 Monate anklopft. Bisher blieb nur das Bad verschont, weil es dort kaum eine Möglichkeit gibt, Möbel umzustellen. Alle paar Monate räume ich um. Vor einigen Wochen stellte ich das Arbeitszimmer und Wohnzimmer um. Jetzt rief mich die Küche. Ich kann mir einfach nichts Schöneres vorstellen, als sofort und auf der Stelle alles umzustellen. Doch scheinbar gibt es auch Menschen, die diesen Rausch, wenn Möbel an einer anderen Stelle stehen und das Zimmer plötzlich ganz anders wirkt, nicht nachvollziehen können. Ich liebe es mir, nach getaner Arbeit mein Kunstwerk anzuschauen. Meistens wirkt das Zimmer viel heller und größer als vorher. Eine andere, schöne und praktische Möbelkonstellation weckt in mir die pure Freude und Inspiration. Das Bedürfnis, Möbel umstellen zu wollen, kommt so plötzlich wie es auch erfüllt werden möchte. Diesmal überkam es mich die Küche umzustellen, während mein Freund nicht da war. Doch ich ließ mich davon nicht ausbremsen. Ich brachte den Tisch und die Stühle in den Flur und verschob langsam, Stück für Stück, den Kühlschrank an die Stelle, wo gerade noch der Tisch und die Stühle standen. Dann brachte ich den Tisch und die Stühle wieder herein und stellte sie an die Stelle wo vorher der Kühlschrank stand. Ich muss euch nicht sagen, wie viel besser die Küche jetzt aussieht und wie glücklich mich diese Aktion gemacht hat.
Substack führt eine neue Funktion ein, Notes, sie ähnelt Twitter oder Instagram in ihrer Funktion Menschen untereinander zu vernetzen und die eigene Publikation sichtbarer zu machen. Ich liebe es allein zu arbeiten und meine Texte aus mir heraus entstehen zu lassen. Zu sehen, was andere schreiben, denken oder fühlen beeinflusst mich. Ich fange an mich zu vergleichen, meine Texte schlecht zu reden oder Ideen und Worte zu übernehmen, die nicht mir gehören. Daher fühle ich mich sicherer, wenn ich bei mir bleibe und ich mich kaum vernetze oder austausche.
Eine Woche zuvor saß ich mit einer Freundin zusammen und erzählte ihr von meinem Traum, ein Café zu eröffnen. Ich träume von einem Künstler:innen Café, indem sich Gleichgesinnte treffen können, zusammen kreativ arbeiten und sich weniger allein fühlen. Ein Café, indem jede und jeder gesehen wird, egal wie verrückt die Visionen sind, denen wir hinterher jagen. Ein Café, dass Künstler:innen dabei unterstützt, ihre Arbeit zu tun und davon leben zu können. Ein Café, mit Büchern, Workshops, Lesungen und eigenen Schließfächern, die gefüllt sind mit Farbtöpfen, Pinseln und Notizbüchern. Ein Café, dass sich nach Familie und zu Hause anfühlt, weil es soviel Halt gibt, den wir dringend brauchen, wenn wir uns jeden Tag wieder in die meinungsstarke Welt trauen mit unseren nackten Gefühlen und Gedanken auf dem Blatt Papier. Ich sehne mich danach, mich auszutauschen und zu vernetzen.
Wie passt das zusammen?
Ich wandere auf einem schmalen Grat zwischen allein machen und unterstützen lassen. Beides will zu mir gehören. Es fällt mir nicht leicht, diesen Widerspruch in mir zuzulassen und auszuleben.
Caro
Was war hier los?
Hier kannst du den letzten Mood Letter lesen
Hier kommst du als Subscriber zu unserer Dankbarkeitsübung. Jeden Freitag schreibe ich euch, wofür ich dankbar bin und lade euch dazu ein, dasselbe zu tun.
In diesem Café würde ich sehr gern schreiben!